Aus den Lebenserinnerungen meines Vaters H. M. Siebert


Mein Vater H.M. Siebert erinnert sich

Über diesen verhängnisvollen Tag und das Jahr 1944 schreibt mein Vater:  

"Das Jahr 1944 brachte auch unserer Familie das große Leid und die tiefe Trauer. Während der totale Krieg auf beiden Seiten immer grausigere Formen annahm, mit dem „Volkssturm“ das letzte Aufgebot mobilisiert wurde (die 16 bis 60-jährigen), während die Alliierten im Frühsommer 1944 erfolgreich in Frankreich landeten, das Attentat auf Hitler scheiterte und sich eine Verfolgungswelle über das ganze Land ausbreitete gegen die „Schwarzseher“ und „Defätisten“ - kam auch für uns der Tag, an dem uns genommen wurde, was wir herzlich liebten:

Nach den ersten Bombenangriffen auf Fulda hatte die Leitung des dortigen Gymnasiums die Schüler aus dem Kreis Hünfeld nicht mehr nach Fulda kommen lassen, sie hatte in Hünfeld einen Notunterricht eingerichtet, für uns Eltern eine gewisse Beruhigung, eine Minderung der Gefahren. Die ersten Bombenangriffe auf Fulda hatten auch der Burghauner Ortsgemeinde einige Opfer abgefordert, und wir hatten sie hier zu Grabe getragen. Dann kam der 21. November 1944, der Bombenangriff auf die Bahnhofsgeleise in Hünfeld! Unter den über 60 in der Bahnhofsunterführung tödlich Getroffenen war auch unser geliebter ältester Sohn Hans-Joachim nebst weiteren Menschen aus Burghaun und Rothenkirchen. Während Martin, Hans Koch, Gerhard Götte und andere Schüler nach Schluss des Schulunterrichts nach Hause liefen, hatte unser Hans die Bahnfahrt vorgezogen, weil er etwas erkältet war und Regen befürchtete. Als die Flieger herannahten, hatten die Bahnbediensteten die Reisenden in die Bahnunterführung getrieben, die alles andere als Luftschutz bot. Als die Luftmine durch die Unterführung schlug, waren sie alle sofort tot.

Als unser Hans nicht nach Hause kam – ein Schüsselchen Nachtisch wartete noch auf ihn – fuhr ich mit dem Motorrad in die von dem Geschehen gelähmte Stadt, wo am Bahnhof die Bergungs- und Aufräumungsarbeiten in vollem Gange waren. Dort fand ich den geliebten Jungen unter den bereits geborgenen Toten. Hans hatte am Tag vorher –er bekam bei Lehrer Gies Klavierunterricht- in dem alten Klavierbuch von Damm das Stück geübt: „Morgen muss ich fort von hier und muss Abschied nehmen.“ Nun war er ohne Abschied gegangen. „Woher? Wohin? Wir wissen nur: Aus Gottes Hand in Gottes Hand.“

Gott gab uns in besonderer und sichtbarer Weise Kraft, durch die schweren Tage zu kommen. „Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal ... dein Stecken und Stab trösten mich.“ Da wir uns bei der Beerdigung unseres Jungen beim Ortsgruppenleiter Kreiss eine Teilnahme der NSDAP verbeten hatten, dies aber bei den anderen Opfern nicht verhindern konnten, war die Beerdigung von Hans gesondert am 25.11. vormittags um 9 Uhr. Amtsbruder Wolff aus Tann (früher Mansbach) hielt auf unsere Bitte hin die Trauerfeier in der übervollen Kirche und sprach über Kolosser 1,12: Danksaget dem Vater, der uns tüchtig gemacht hat zum Erbteil der Heiligen im Licht, er hat uns errettet von der Obrigkeit der Finsternis und hat uns versetzt in das Reich seines lieben Sohnes.“ Gesungen haben wir unter anderem „Mein schönste Zier und Kleinod bist auf Erden Du, Herr Jesus Christ“ und das „Gloria sei Dir gesungen“! Wir waren kaum vom Friedhof, als die Bombengeschwader wieder über Burghaun dahinzogen und Schrecken und Angst verbreiteten.

Ich beerdigte am Tag darauf, dem Toten- und Ewigkeitssonntag, die anderen drei umgekommenen Burghauner Gemeindemitglieder. Meine Frau Margret hatte die wunderbare Kraft, auch an diesem Begräbnis teilzunehmen wie auch an der Beerdigung der katholischen Mitbürger. Die Nazipartei und ihre Gliederungen marschierten auf, und ihre Vertreter sprachen stolze Worte. Am gleichen Nachmittag hielt ich die Beerdigung von drei Rothenkircher Gemeindemitgliedern. Auf dem Weg zum Friedhof tauchten wieder einige Flieger auf und ließen die Ängstlichen auseinanderlaufen.

Es kam die Advents- und Weihnachtszeit 1944. Am 1. Advent predigte ich über das Wort Jesaja 9,1: „Es wird nicht dunkel bleiben über denen, die in Angst sind.“ Wehen Herzens aber getröstet im Glauben haben wir unseren Kindern das Christfest bereitet und mit ihnen unsere Weihnachtslieder gesungen. .... " 

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Mein Vater Pfarrer H.M. Siebert erinnert sich
Bomben auf den Hünfelder Bahnhof
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